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Montag, 3. Mai 2021

Hausarztgeflüster - Gedankenkarussell zu Coronazeiten

 Wie ich in den vorigen Posts schon geschrieben hatte, stellte sich heraus, dass die Suche nach einem für mich geeignetem Hausarzt oder Hausärztin sich als äußerst zäh und schwierig gestaltete. In meinem früheren Leben als Arzthelferin in leitender Stellung war das überhaupt kein Problem, die Türen waren offen und ich hatte immer das Gefühl, schon von Weitem herein gewunken zu werden.

Der rote Teppich für Insider - quasi VIP Lounge. Jetzt, wo ich unter "ferner liefen" gelte, bin ich nur eine Nummer, die oft nicht einmal leuchtet. Einen bleibenden Eindruck hinterlasse ich sicher nicht, da mich schwerwiegende Erkrankungen und Gebrechen zum Glück (noch) nicht heim gesucht haben. Immer öfter bin ich ziemlich dankbar dafür. Trotzdem bin ich ein Mensch mit Bedürfnissen und ich habe gerade jetzt in der "Corona Zeit" den Eindruck, dass die Ärzte und Angestellten gleichermaßen froh sind, wenn der Patient die Praxis wieder verlässt. Da hatte ich neulich so ein Erlebnis, welches ich hier einmal näher schildern möchte: 

Die Tage sind nicht immer gleich, auch bei mir gibt es hin und wieder mal ein Tief und ich habe den Eindruck, dass ich permanent in alle bereit gestellten Fettnäpfchen trete und auch sonst keine Gelegenheit auslasse, um Erlebtes in einem möglichst noch negativerem Licht erscheinen zu lassen. Dinge, die mir an anderen Tagen nicht auffallen würden, stören plötzlich immens, der Leser kennt das sicher zur Genüge. Heute war jedenfalls so ein Tag, an dem ich "nah am Wasser gebaut" war, wie man zu sagen pflegt. Jede Kleinigkeit störte mich und Tränen gab es im Überfluss. Einen Grund konnte ich nicht erkennen. Und ja, ich bin in den Wechseljahren! In meiner Verzweiflung beschloss ich, meine neue Hausärztin anzurufen und um einen Termin zu bitten. Am anderen Ende der Leitung teilte man mir mit, dass es im Moment günstig wäre, ich solle mich gleich auf den Weg machen. Ich zögerte, entschloss mich aber, gleich zu fahren, Mittags schloss die Sprechstunde, es war bereits 11:00 Uhr. Ich fuhr los. Eine halbe Stunde später angekommen bekam ich sogar einen Parkplatz vor dem Ärztehaus. Gemeinschaftspraxis. Einige wenige Patienten tummelten sich im Eingangs Bereich, die Hoffnung, schnell dran zu kommen erfüllte sich prompt. Kaum, das meine Chipkarte eingelesen worden war, konnte ich sogleich in das Behandlungszimmer. Die Tür wurde hinter mir geschlossen. Ich begann zu überlegen, was der Grund meines Besuches sein konnte. Was sollte ich sagen, wie sollte ich mich verhalten? Ich hatte keinen Plan, was nun auf mich zu kommen würde. So direkte sichtbare Beschwerden hatte ich nicht, dachte ich zumindest. Die Gesichtsmaske machte das Atmen fast unmöglich, zu allem Überfluss beschlug meine Brille. Magenbeschwerden und leichte Übelkeit machten sich in mir breit, mir war ziemlich mulmig. Wann hatte ich das letzte Mal etwas gegessen? Mag es heut früh gegen halb acht gewesen sein. "Sollte ich einfach gehen?" Noch war die Gelegenheit günstig, doch in diesem Moment trällerte ein fröhliches "guten Morgen" durch den Raum, ich fuhr etwas zusammen, das Öffnen der Türe hatte ich nicht mitbekommen. Etwas erschrocken stammelte ich "Morgen", mehr bekam ich nicht zusammen. Die Hausärztin ließ sich in den Schreibtischsessel fallen, der federte ein paar Mal zurück. Ich entnahm ihrem Gesicht einen forschenden Blick und gleichzeitig eine endlose Müdigkeit. Dann die Frage, was mir denn fehle. Ich wollte reden, wollte ihr erklären, warum ich hier sei, wusste aber nicht, was ich sagen sollte, suchte krampfhaft nach Worten, die mein Dasein in der Praxis und die Berechtigung, Patientin zu sein unterstreichen sollte, aber ich schwieg. Schwieg ins Leere. Das Kloßgefühl im Hals nahm mir die Luft, mein Kopf war eine einzige Achterbahn, ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, ich verlor den Kampf und plötzlich rollten die ersten Tränen über mein Gesicht und genau in diesem Augenblich meinte die Hausärztin "Sie sehen ja fertig aus! Was ist denn mit Ihnen los?" Ich antwortete nicht, konnte nicht antworten, Tränen liefen über mein Gesicht und wurden zu Wasserfällen, meine Nase lief und ich nestelte in meiner Jackentasche umständlich nach einem Taschentuch. Durch meinen Kopf flogen Gedankenfetzen, einen klaren Satz bekam ich nicht mehr zusammen. Die Nerven lagen blank. Die Ärztin redete auf mich ein, ich verstand nur lückenhaft was sie sagte, musste nun dringend meine Nase putzen, weil der ganze Rotz schon gefühlt in die Atemmaske lief. Es ekelte mich an. Ich zog die Atemmaske einseitig ab und schnäuzte in das Taschentuch. In dem Moment sprang meine Hausärztin ruckartig auf, so dass der Stuhl, auf dem sie saß fast nach hinten geflogen wäre, hastete an das Fenster und öffnete es mit einem Ruck. Geräuschvoll. Ich erschrak. Vielmehr traf mich ein strafender Blick von ihr. Sie sprach während dessen kein Wort. Peinliche Stille, bis ich die Atemmaske wieder hoch ziehen und die Schlaufe hinter das Ohr gefummelt bekam.

Als die Atemmaske wieder vorschriftsmäßig saß, redete sie weiter, als wäre nichts passiert und ich versank noch tiefer in meine ziemlich emotional misslich Lage. Hörte am Rande etwas von Therapie und Depressionen, folgen konnte ich schon lange nicht mehr. Ich ließ es geschehen.

Am Ende überreichte sie mir einen Überweisungsschein und meinte: "Viel Glück und alles Gute für Sie" und dann war sie auch schon wieder weg. Als hätte die Begegnung nie statt gefunden. Den Überweisungsschein in der Hand stolperte ich unbeholfen aus der Praxis, draußen auf der Straße zog ich endlich die Atemmaske vom Gesicht und fühlte Kühle, unendliche Kühle, die mein Gesicht berührte. Endlich wieder fei atmen können! Ich sog die kalte Luft tief in mich hinein, das Kloßgefühl hatte sich schlagartig aufgelöst und genoss das großartige Gefühl von frischer Luft. Es roch nach Freiheit. Endlich raus! hämmerte es in meinem Kopf, ich wollte nur noch los und mit schnellen Schritten lief ich zu meinem Auto, riss die Fahrertür auf und ließ mich in den Autositz fallen. Ein flüchtiges, kaum merkbares Lächeln flog über mein Gesicht. Sekundenschnell. Den Überweisungsschein verstaute ich für das Erste tief im Handschuhfach, ohne einen einzigen Blick darauf zu werfen. Nur ein Stück Papier, dachte ich, es war mir scheißegal, was darauf stand! Ich bekam endlich wieder Luft, es ging mir schlagartig besser.

Ich fuhr nach Hause, die Gedanken sortierten sich und ich fühlte mich erleichtert und wie irgendwie frei. Eine Frage beschäftigte mich unterwegs dann doch noch: Ob sie unter ihrer Atemmaske Lippenstift trägt?...


© Susann Krumpen

1 Kommentar:

  1. Ich kenne das Problem, du wirst in diesen Tagen behandelt, als wärst du eine Nummer... leider:-(

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